… vom Faulpelz zum Dokuregisseur
Als ich Daniel zum ersten Mal gesehen habe, war ich zwölf. Und sofort verknallt. Nicht nur, weil er gerade auf dem Parkplatz von meinem neuen Zuhause ein Iglu baute (damals, als es noch viel Schnee gab).
Nee, der war vor allem soooo süß!
Das isser, der Daniel
Hier zu Besuch in Köln, wohnt aber leider mittlerweile mit meiner/seiner/unserer
Freundin Jelena (noch nie habe ich so engagiert & erfolgreich Amor gespielt!) in Berlin
Wie sich bald herausstellen sollte, war er aber vor allem eins: stinkfaul. Nicht, wenns ums Bauen von Iglus ging. Sondern in der Schule.
Wir waren sechs Jahre lang Nachbarn, meist beste Freunde, zwischendurch immer mal wieder schlimmste Feinde und – nachdem er erfolgreich sitzengeblieben war – Klassenkameraden.
Jeden Morgen holte ich ihn zur Schule ab. Jeden Morgen, bis auf vielleicht zwei oder drei Mal, schlief er noch, als ich klingelte. Er kiffte wie ein Blöder, wechselte alle paar Wochen seine Haarfarbe (grün, rot, lila, blau) und hatte statt Schulstoff eher Mädchen, HipHop und Parties im Kopf. Hardcore pubertär. „Ein Früchtchen“, meint er selbst. Eine unserer damaligen Klassenkameradinnen, Melanie, sagte gestern:
„Ich hätte ja erwartet, er schafft’s maximal zum Fachlageristen“.
Kommt nicht von ungefähr. Daniel war in der Schule vom Typ „the biggest Loser“. Keinen Bock gehabt, ganz einfach (wobei sein Abschluss dann – fragt mich nicht, wie – doch ganz gut geworden ist). Daniel war nach der Schulzeit ein paar Jahre lang Werkzeugmechaniker. Daniel belegt heute, wenn man so guckt, was aus uns geworden ist, den ersten Platz in Sachen Überraschungseffekt (nicht nur, weil er mit 21 aufgehört hat, zu Kiffen). Ja, vor ihm zieht man wirklich den Hut (oder die Kappe). Er wird heute regelrecht bewundert. Auch wenn er darauf gar keinen Wert legt. Im Understatement macht er meiner Künstlerfreundin Rosa nämlich harte Konkurrenz.
Nach seinem Ausflug in die Welt der Werkzeuge hat Daniel sich lieber zum Kameraassistenten ausbilden lassen, was ganz schön erstaunlich, weil plötzlich so ambitioniert war. Schlummerte da etwa doch ein gewisser Ehrgeiz in ihm? Tatsache: Es musste wohl „nur“ das richtige Thema her, um das Faultier aus seinem Winterschlaf zu reißen. Und dann war er nicht mehr zu halten. Hat einen eigenen Film gemacht.
UNSER Daniel! Die faule Socke! EINEN EIGENEN FILM!
Das qualifiziert ihn in unserem sauerländischen Heimatstädtchen Lüdenscheid ungefähr zum siebten Weltwunder.
Und nein, sein Film handelt nicht etwa von Sex, Drugs & Techno. Daniel hat eine Dokumentation über Myanmar (auch bekannt als Burma) gemacht. Ein Land, zu dem er bis vor ein paar Jahren genauso viel Bezug hatte, wie die meisten, die das hier gerade lesen: gar keinen.
Während eines Thailandtrips quartierte er sich – abenteuerlustig wie eh und je – für ein paar Tage auf einem Fischerboot ein und stellte irgendwann fest: „Oh, ich bin hier ja gar nicht mit Thais, sondern mit Burmesen unterwegs“, als einer der Fischer sagte: „Can no go home, war“ („war“ bitte Englisch lesen, dann kommt Krieg dabei raus). Bitte wie, bitte was?
In Myanmar tobte Krieg
Zu diesem Zeitpunkt hatte Daniel schon mehrere Winter im Urlaubsparadies Thailand verbracht. Ohne zu wissen, dass währenddessen im Nachbarland ein Bürgerkrieg tobt. Dass es so nah neben seinem traumhaften Winterdomizil dieses Land gibt, das seit 1962 Militärdiktatur war, den weltweit längsten Bürgerkrieg führt und die meisten Kindersoldaten hat, ließ ihn nicht mehr los. Dass kaum jemand über die grausamen Verhältnisse in diesem Land weiß, war Daniels Motivation für einen eigenen Film. Er wollte
Aufmerksamkeit schaffen und „eine Geschichte erzählen“.
Hat er wirklich gemacht. Vier Jahre hat das gedauert. Rausgekommen ist eine Doku, die fünf ganz unterschiedliche Burmesen porträtiert und dabei die Landesgeschichte, die das Schickal jedes Protagonisten determiniert hat, nachzeichnet. Die Mischung aus Hintergrundinformationen und authentischen Einblicken in das Leben der Einheimischen bringt einem das ferne und vor allem so fremde Land ganz nah und stellt die Frage:
Ist in einem per se unfreien Land Demokratie möglich?
Starker Stoff. Synchronisiert von deutschen Schauspielgrößen wie Josefine Preuß, Hannes Jaenicke und Fahri Yardim. UNSER Daniel! Idee, Protagonistenrecherche, Kamera, Regie, Schnitt, Finanzierung – alles von ihm. Großes Kino. Verbunden mit ebenso großen Sorgen um ihn.
Als seine damalige „Myanmar goes Democrazy“-PR-Beauftrage (yay!) habe ich Daniel 2014 schon mal ausgequetscht. Das wirklich fantastische (okeee, und auch ziemliche lange) Interview findet ihr hier hübsch formatiert, oder hier (beschissen, weil gar nicht formatiert) auf Facebook.
Darin erzählt er unter anderem:
„Ich kann leider nicht sagen, dass auch nur irgendeiner vorbehaltlos diese Idee unterstützt hätte, einfach weil alle sich Sorgen gemacht haben“.
Dieses Thema hatten wir bei Janoś‘ Idomeni-Einsatz ja auch schon. Bei Daniel gesellte sich zu den Sorgen der Mitmenschen sogar noch das Gefühl, belächelt zu werden:
„’Ja ja, mach du mal, dann haste ’n nettes Urlaubsvideo‘, dachten manche glaube ich.“
Das vermeintliche Urlaubsvideo hat letzten Oktober in einem Kreuzberger (das ist in Berlin) Kino Premiere gefeiert. Und jetzt? Ich habe noch mal zum Interview gebeten.
Und bekommen:
Ein stellenweise enttäuschtes Resümee.
Einen Einblick in Fehler, die man bei der Vermarktung eines Filmes so machen kann. Ein Plädoyer für lange Aufenthalte in fremden Kulturen, fürs Ausbrechen aus seinem Mikrokosmos. Eine längst überfällige Zusammenfassung, welche Erfolge der Film gefeiert hat. Eine Erklärung, wie Vimeo im Gegensatz zu Youtube Klickzahlen generiert. Und insgesamt ein ganz schön spannendes, herrlich ehrliches Gespräch. Ich hab so tolle Freunde.
Los geht’s.
Wie war das Gefühl, als der Film fertig war?
Erleichternd.
Im Sinne von „gut, dass die Scheiße endlich vorbei ist!“?
Definitiv. Vier Jahre an einem Thema zu arbeiten und dann endlich fertig zu sein, ist wirklich einfach nur erleichternd.
Aber hinterlässt das Projektende nicht eine riesengroße Lücke? Du hast da so viel Zeit, Energie und Geld reingesteckt, fehlt einem da nicht was, wenn’s plötzlich (haha, plötzlich) fertig ist?
Ehrlich gesagt gibt’s dann wieder andere Aufgabenbereiche, auf die ich Bock habe. Ich wollte ne Zeit lang nichts neues Eigenes machen, weil ich echt die Schnauze voll hatte. Aber mittlerweile kommt die Lust doch allmählich wieder.
Warum hattest du denn die Schnauze voll?
Vor allem, weil das Ganze ja irgendwann neben meinem „normalen“ Job lief. Und sich nach einem 12-stündigen Drehtag für Produktion XY noch mal an das Projekt zu setzen, ist jetzt nicht sooo geil.
Bist du denn zufrieden mit deinem Film?
Ich schaue ihn mir weiterhin sehr gerne an, ja. Es gab ja mittlerweile einige Vorführungen. Manchmal bin ich dabei anwesend und gehe anschließend auf die Bühne, um Fragen zu beantworten. Und das Feedback ist jedes mal überwältigend, zumal die Zuschauer immer wieder andere Fragen stellen und es mir Spaß macht, die zu beantworten.
Nur war ich mittlerweile 1 ½ Jahre nicht in Myanmar und der Fortschritt dort passiert so rasant, dass ich nicht mehr megaaktuell informiert bin, was dort gerade abgeht. Da tauchen also mittlerweile Fragen auf, die ich gar nicht mehr genau beantworten kann.
Zum Beispiel?
„Was macht der Bürgerkrieg im Westen des Landes?“, „welche Reformen wurden durchgesetzt?“, usw. Da bin ich nicht mehr top informiert, unter anderem weil die Infos auch trotz Facebook und Tagesschau gar nicht so schnell hier ankommen.
Hast du denn noch Kontakt zu deinen Protagonisten?
Ja, den Mönch habe ich vor drei Monaten in Deutschland getroffen, der war hier. Und einer der Punks war tatsächlich zur Premiere im Oktober 2015 in Berlin.
Wir stellen fest, dass nicht nur Daniel, sondern in seiner Hosentasche auch seine virtuelle Freundin Siri munter plaudert. Kurze Unterbrechung und krasser Sprung im Fragenkatalog.
Wie viel hat dich der Film am Ende eigentlich gekostet?
35.000 Euro.
Uh, darf ich das schreiben?
Du darfst alles schreiben.
♥ ♥ ♥
Hast du es jemals bereut, dieses Geld ausgegeben zu haben?
Ja! Mit so viel Kohle kann man schon ne Menge Spaß haben!
(wir lachen beide, wahrscheinlich mit jeweils unterschiedlichen, tollen Bildern im Kopf.)
Aber du bereust es nicht, den Film gemacht zu haben?
Nein.
Was hat er dir denn gebracht?
Er hat mich zu der Persönlichkeit gemacht, die ich heute bin.
Das hat aber nicht nur direkt mit dem Film zu tun, sondern damit, so lange so weit weg von Zuhause zu sein …
(ich unterbreche, indem ich seine Wange tätschle und sage: „Der kleine Daniel ganz weit weg von Zuhause, hatti-tatti-tuuuu“)
Fuck you.
Ich kann so was echt nur empfehlen. Deshalb sage ich ja auch zu dir: „Geh auf Reisen!“. Wir haben unseren Mikrokosmos in unserer Stadt, unserem Veedel, unserem Kiez. Wenn du für eine längere Zeit an einem wirklich fremden Ort bist, der nichts mit deiner Kultur zu tun hat, kann man da extrem viel lernen, was man wiederum in seinem Mikrokosmos anwenden kann.
Es hört sich vielleicht bescheuert an, aber ich glaube, dass ich die aktuelle Flüchtlingsproblematik doch anders sehe, als die meisten Deutschen – weil ich eben auch in Bürgerkriegsgebieten war. Und es anders erfassen kann, warum Menschen aus ihrer Heimat abhauen, aus ihrem Zuhause, aus ihren Familien und alles hinter sich lassen.
Viele Deutsche raffen das einfach nicht.
Was auch nachvollziehbar ist. Und komischerweise: Unsere Großeltern raffen’s auch nicht, obwohl die es nachvollziehen können müssten. Die haben Krieg erlebt. Zumindest als Kinder. Und trotzdem sind die meisten mega intolerant gegenüber der kompletten Flüchtlingsthematik.
Kann man als nächstes einen Film zur Flüchtlingsproblematik von dir erwarten?
Nein!
Zurück zum Thema: Der Film hat dir also für deine persönliche Entwicklung viel gebracht. Und beruflich? Haben sich neue Aufträge und ein gewisses neues Renommee als Kameramann und Regisseur draus ergeben?
Ich bin ja eh in dem Business tätig und muss sagen: Die Aufträge sind nicht mehr, aber auch nicht weniger geworden.
Hat der Film in deiner Branche, in deinem beruflichen Umfeld Anklang gefunden?
Es gab durchweg positives Feedback und die Leute aus der Filmbranche, die ja doch nochmal anders hingucken, haben sich nicht gelangweilt gefühlt.
Bist du denn etwas enttäuscht? Hattest du vielleicht die Hoffnung, dass du diesen Film machst und Leute daraufhin unbedingt mit dir zusammenarbeiten wollen?
Nee, ich bin eher enttäuscht von der eigentlichen Auswertung des Films: Der Film ist bei der Autentic, einer Tochtergesellschaft vom WDR, unter Vertrag. Die vermarkten den Film global für mich, er ist für sieben Jahre dort fest verankert. Und … naja,
sie verkaufen den Film halt einfach nicht.
Und mein Ziel war natürlich, dass der Film gesehen wird. In dem einen Jahr der Zusammenarbeit ist faktisch nichts passiert und deswegen versuche ich, aus dem Vertrag auszusteigen und den Film bei Youtube und Vimeo frei zugänglich zu machen. Denn Ziel war immer, dass der Film gesehen wird und nicht in irgendeiner Schublade landet. Und er droht natürlich, zu veralten.
Klar, es gibt ein Aktualitätsproblem, weil sich in Burma so viel entwickelt hat.
Genau, und das in einem rasanten Tempo.
Was ist denn mit dem Film bislang alles passiert?
Der Film hatte am 26.10.2015 in einem Berliner Kino Premiere, lief dort drei Wochen lang und wurde von mehr als 700 Zuschauern gesehen.
Das hast du aber selbst organisiert?
Genau, bzw habe ich dafür jemanden engagiert: Eine Freundin hat die PR-Arbeit übernommen. Wir waren dann auch ein paar Mal im Radio in Berlin und die Arbeit hat sich ausgezahlt:
700 Menschen für einen Dokumentarfilm ins Kino zu bekommen, ist fast nicht normal.
Außerdem habe ich den Film bei rund 30 Festivals eingereicht, genommen wurde er von sechs. Gewonnen hat er bei vier Festivals: in Oregon, zwei Mal in Londonals
-bester ausländischer Dokumentarfilm und beste ausländische Dokumentarfilmregie –
und bei einem Punkfilmfestival in Berlin.
Aha. Warum bitteschön erfahre ich das erst in diesem Interview, warum erzählst du so was nicht?
Wem soll ich das denn erzählen?
Wenigstens deinen Freunden!?
Mache ich manchmal, aber ich gehe damit nicht hausieren, bin ich nicht der Typ für. Würde der Film in Cannes laufen, wäre ich natürlich megastolz. Aber es sind dann doch eher B-Festivals – was niemanden so richtig interessiert.
Du bist also nicht stolz?
Ich bin stolz auf den Film, aber nicht auf die Auswertung.
Du hattest wahrscheinlich eine Vision, was mit diesem Film passieren soll, bis auf dass er von möglichst vielen Leuten gesehen wird (…)
Das war tatsächlich die Vision! Ich wäre stolz, wenn der Film 50.000 Klicks oder so auf Youtube hätte. Aber die Möglichkeit gibt’s nicht, weil er dort nicht gezeigt werden darf. Was mein Fehler war, ihn dort nicht anzubieten. Den Trailer gibt’s bei Vimeo, aber da funktioniert die Zählweise so: Nur wenn der Trailer von der ersten bis zur letzten Sekunde angeguckt wird, gibt’s nen Klick. Wenn man vor dem Ende abbricht, was bei meinem Trailer häufig der Fall ist, da oft spätestens im Abspann weggeklickt wird, zählts nicht. De facto hat mein Trailer deshalb nur um die 10.000 Klicks, tatsächlich sind’s aber rund 70.000. Was niemand sieht. Aber eigentlich ist es auch völlig egal. Den Trailer muss niemand gucken, den Film sollen die Leute sehen. Aber dazu hat gerade halt niemand die Möglichkeit. Aber vielleicht komme ich ja bald aus meinem scheiß Vertrag raus.
Wie realistisch ist das denn?
Na ja, letzter Stand ist, dass die Firma sich drum kümmern will. Das ist vier Wochen her.
Bis auf zu erreichen, aus dem Vertrag zu kommen, ist das Kapitel „Myanmar goes Democrazy“ aber abgeschlossen, oder?
(jetzt überlegt er wirklich lange)
Ich hab einfach nicht mehr die Muße und die Energie, in den Film reinzugehen und noch mal Arbeit reinzustecken. Bis auf, den Film einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, plane ich nichts. Vor allem keine große Deutschlandtour durch Kinos. Noch mal so viel Arbeit da reinzupumpen, macht einfach keinen Spaß. Obwohl das Feedback immer gut ist. Aber nein, das macht wirklich keinen Spaß. Und ich hab auch noch andere Sachen zu tun. (wir lachen mal wieder)
Apropos, hast du schon was Neues in der Schublade? Möchtest du noch mal so was großes Eigenes machen?
Es ist was in der Pipeline, ich schreibe gerade. Dieses Mal ist es aber kein Dokumentar-, sondern ein Fictionfilm. Es gibt sogar auch Geldgeber. Aber spruchreif ist das noch nicht.
Vielen Dank fürs Gespräch, Herr Grendel.
Yo.
So isser! ♥
© Fotos: Daniel Grendel / Grandpictures ► das ist seine Firma, über die ihr nicht nur ihn, sondern auch Kameras und Equipment buchen könnt.
So, und hier jetzt natürlich der Trailer. Schön bis zum Ende angucken, Kinners!
Trailer Myanmar goes Democrazy english subtitle from GrandPictures on Vimeo.
[…] der Dokumentation „Myanmar goes Democrazy“ (darüber hatte ich schon mal mit ihm gesprochen, lies doch mal hier). Und jetzt wandel ich hier auf den Spuren meines langjährigsten Freundes, ein tolles […]