Interview | Janoś über seine Flüchtlingsarbeit in Idomeni

„Ich fahre nach Idomeni, bin in drei Tagen weg“, schrieb Janoś* mir Ende März per WhatsApp. Mein erster Gedanke war: „Oh Gott, muss das sein?!“. Geantwortet habe ich: „Ehrenhaft, aber das ist starker Tobak – gerade für eine zarte Seele, wie dich!“.

Klar: Sich für so etwas zu entscheiden, ist stark, bemerkenswert, beispielhaft. Und ich finde es toll, jemanden wie Janoś in meinem Freundeskreis zu haben. Der politisch nicht nur interessiert, sondern sogar engagiert ist. Aber man macht sich natürlich Sorgen. Gar nicht so sehr darüber, dass der Einsatz gefährlich sein und etwas Schlimmes passieren könnte. Sondern eher darüber, ob die Arbeit vor Ort emotional nicht doch etwas zu heftig ist. Vor allem für jemanden, dem die Flüchtlingsproblematik so nahe geht, der so sensibel ist, wie Janoś.

Fast vier Wochen war er mit dem Dresden-Balkan-Konvoi dort: in dem Lager, das zu einem Symbol der Flüchtlingskrise geworden ist. Während er sich an der griechisch-mazedonischen Grenze eingesetzt hat, habe ich hier in Köln zum ersten Mal über einen eigenen Blog nachgedacht. Und sofort gewusst: Sollte ich das wirklich durchziehen, wird das eine meiner ersten Geschichten! Hier ist sie. Ein Erlebnisbericht von Idomeni. Über Gedanken, Gefühle und Ängste vor Ort. Darüber, wie sich Tränengas und Gummigeschosse anfühlen. Über die politische Repression, die Volunteers widerfährt. Über die Menschen in diesem Lager. Darüber, wie man mit dem Elend, das man dort erlebt, umgeht … wie es einen verändert. Und über politische Träume.

Wir haben das Interview am 23. Mai geführt. Am nächsten Tag wurde Idomeni geräumt. Der letzte Funke Hoffnung vieler ausharrender Geflüchteter, dass sich die Grenze nach Norden doch noch für sie öffnet, wurde von Bulldozern überrollt.

Inwieweit hat dich dein Einsatz verändert?

Ich sehe durch diese intensive Erfahrung, durch das, was ich dort erlebt habe, vieles aus einem anderen Blickwinkel. Die Wichtigkeit, die man Dingen im Leben in seinem Leben beimisst, relativiert sich. Zum Beispiel, wofür man Zeit aufbringen möchte oder worüber man sich so ärgert in seinem Alltag.

Hast du da ein konkretes Beispiel?

Ja: Wenn es um Geld geht, also ums kapitalistische System, das ja auch eine Mitschuld an den politischen Krisen trägt. Ich beschäftige mich jetzt mehr damit, wofür ich mein Geld ausgebe und vor allem, wie viel das eigentlich ist. Feiern ist da ein gutes Beispiel: Man gibt so viel Kohle für Parties aus und ich denke mittlerweile natürlich darüber nach, was man mit diesem Geld alles Sinnvolles bewirken könnte. Das nagt am Gewissen. Dazu kommt ein Gefühl der Ohnmacht. Denn was man als Volunteer vor Ort leistet, hat eher einen symbolischen Wert. Das bringt einem ein bisschen was fürs Gewissen, aber man verändert das System dadurch ja nicht.

Nur „ein bisschen was fürs Gewissen“? Es hat dir doch viel gebracht, oder nicht?

Ja, ich glaube es hat mich sehr verändert, aber es schwierig, das in Worte zu fassen. Man kann den Outcome einer solchen Aktion schlecht auf sich selbst beziehen, denn das war ja nicht der Grund, aus dem man losgefahren ist. Man denkt im Vorfeld auch gar nicht so viel darüber nach, was das mit einem selbst machen könnte. Und danach beschäftigt einen vor allem, wie es den Geflüchteten geht und wie man die Situation weiter für sie verändern könnte.

Warum hast du das eigentlich gemacht?

Das war eine relativ spontane Entscheidung aus dem Bauch. Und aus der Verzweiflung heraus, die entsteht, wenn man sich viel mit dem Thema befasst. Da fühlt es sich gut an, loszufahren, sein Leben hier zu pausieren, um vor Ort seine gesamten Energien einzusetzen. Und es war dann auch tatsächlich befriedigend, täglich so viele Stunden sinnvoll zu arbeiten und direkt zu erleben, dass diese Arbeit Menschen das Leben erleichtert und man was zum Großen und Ganzen beitragen kann.

„Wir versagen in unserer Humanität“

Die Krise ist dir von Beginn an extrem nah gegangen. Warum?

Es fängt an mit immer wieder gehörten Geschichten meiner Großeltern, die damals innerhalb Deutschlands aus den Städten aufs Land geflohen sind. Es geht weiter damit, dass ich mich viel damit befasse, wie Kriege entstehen und welche wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen hier eine Rolle spielen. Und mit der Ungerechtigkeit, die heraufbeschworen wird, wenn ein Land in politische Instabilität verfällt und Bürgerkriege ausbrechen, Menschen vor diesen Kriegen fliehen und ihnen humanitäre Hilfe verweigert wird. Das löst in mir ein großes Ungerechtigkeitsempfinden aus, das mich unzufrieden macht – wohl über normale Empathie hinaus. Ich bin oft verärgert und und wütend über die Situation auf der Welt. Wenn man es nicht mehr schafft, den Menschen Frieden und ein Dach überm Kopf anzubieten, dann versagen wir in unserer Humanität.

Wie war deine Ankunft in Idomeni?

Zu dem Zeitpunkt haben 12.000 Flüchtende im großen Idomeni-Camp gelebt, das man aus dem Fernsehen kennt. Dazu kommen noch einige Tausend Menschen in kleineren, umliegenden Camps. Und ja, der erste Tag war richtig heftig, wir hatten ja keine Erfahrung mit so einer Extremsituation. Es gab aber direkt einen Gesprächskreis, um zu lernen, damit umzugehen.

© Janoś

Gab es da etwas Konkretes, das dir geholfen hat?

Was immer wieder aufkam, war: Wie viel muss oder sollte man aufopfern? Wie viele Stunden am Tag sollte man arbeiten? Darf man sich Freizeit nehmen? Darf man überhaupt in einem richtigen Haus mit Bett schlafen, während die Geflüchteten in Zelten übernachten und im Regen sind? Die Antwort lautete: Es hilft keinem, aus Solidarität zu verzichten. Was anfangs allerdings schwer zu akzeptieren ist. Aber man lernt mit der Zeit, dass man sich auch seinen Freiraum nehmen kann und nicht über seine Möglichkeiten arbeiten sollte – körperliche, aber auch seelische. Sondern dass man einfach mal „Stopp“ sagt, wenn es einem gerade zu viel wird. Das wird auch immer akzeptiert.

„Wir haben versucht, den Menschen ein Stück weit Freiheit zu geben“

Wie sah dein Alltag in Idomeni aus?

© Janoś

Jeder Morgen begann um 8:30 mit einem zweistündigen Plenum. Ich habe im „Forest-Team“ gearbeitet. Der Forest ist ein Camp in der Nähe des großen Idomeni-Hauptcamps, das sich über ein Zeltlager im Waldstück und vier leerstehende Rohbauten erstreckt. Dort waren rund 1.000 Menschen aus Pakistan, aus dem Irak, viele aus Syrien und eine eigene kurdische Community. Zwei mal am Tag war „Distribution“. Zum Frühstück gibt’s für alle Bewohner Brot, Ei und Tomate, was recht mechanisch ausgegeben wird. Nachmittags haben wir Kisten mit Kochequipement und Lebensmitteln verteilt – das war der große Unterschied zu den anderen Camps: Im Forest gibt es keine festgeregelte Essenausgabe, sondern man versucht, den Menschen die Freiheit zu geben, selbst zu entscheiden, was sie wann kochen. Dafür haben sie selbst gebaute Öfen aus Ölfässern zur Verfügung und eben alles aus den Kisten, die wir ihnen gepackt und nachmittags gebracht haben. Dazwischen habe ich viel in der Küche geholfen, Gemüse geschnitten oder auch mal zwei Stunden am Stück Suppe umgerührt. Wir waren nie vor 23 Uhr Zuhause, es war schon viel Arbeit. Aber Teil des Plans war auch, dass man nicht hierarchisch und als Heilsbringer an die Bewohner verteilt, sondern versucht auf Augenhöhe zu arbeiten. Das bedeutet, dass viele Refugees in der Küche und bei der Ausgabe geholfen haben. Nach dem Verteilen der Kisten waren wir auch immer noch mindestens eine Stunde im Camp, wurden von den Bewohnern dazu eingeladen, uns mit ihnen hinzusetzen, haben literweise Chai getrunken, auf Arabisch zählen gelernt, uns Geschichten angehört.

Oh wow, das überrascht mich. Und ist wahrscheinlich nicht selbstverständlich für Flüchtlingsarbeit in Idomeni, oder?

Genau. Der Dresden-Balkan-Konvoi ist eine Organisation, die mehr als die Basic Needs anbieten will*: Nicht nur einen Platz zum Schlafen, damit man nicht erfriert und etwas zu Essen, damit man nicht verhungert, sondern deren Ziel ist es, mit den Geflüchteten eine soziale Struktur zu schaffen und dem Leben mehr Sinn zu geben, auch über interkulturellen Austausch. Mir war es auch wichtig, nicht nach Idomeni zu fahren, um von oben herab etwas zu verteilen, sondern dort mit den Menschen sein zu können. Es wurde uns auch immer wieder gesagt, wie schön es ist, dass wir da sind – weil wir uns gekümmert haben. Wir hatten eine sehr direkte Verbindung zu den Refugees, was im Hauptcamp in der Form natürlich gar nicht möglich gewesen wäre.

* Die Organisation Aid Delivery Mission arbeitet unter dem Claim „Delivering Aid to an ever changing & chaotic Refugee Crisis“ nach denselben Prinzipen.

„Wir haben uns oft schlecht gefühlt in unserer Geber-Rolle“

Was waren deine vorherrschenden Gedanken und Gefühle während der Zeit vor Ort??

Die betreffen tatsächlich vor allem die eigene Arbeit und seine persönliche Rolle, die man permanent reflektiert. Wir Volunteers haben immerzu diskutiert, ob wir uns richtig verhalten und uns oft schlecht gefühlt in unserer Geber-Rolle. Das hätten wir uns anders gewünscht, was aber schwierig ist, wenn Menschen Dinge brauchen.

Wie würdest du die Rolle, die dort eingenommen hast, beschreiben?

Wenn man so will, gibt es unter den Volunteers good cops und bad cops. Ich war eher der bad cop, weil ich immer um die Einhaltung der Regeln bemüht war. Es muss eine gewisse Ordnung geben, damit jeder im Camp zu seiner Gerechtigkeit kommt – so schwierig das auch manchmal durchzusetzen ist. Ich habe aber immer versucht, selbst in kritischen Situationen möglichst neutral, statt wütend und unbeherrscht zu sein. Ich finde, so etwas dürfte ich mir gar nicht erlauben, wenn ich meine Situation und meinen Lebensstandard mit den Schicksalen der Geflüchteten vergleiche.

Was waren das für Menschen, die du dort versorgt hast?

Eine bunte Mischung: Kinder, die im Camp geboren wurden, genau wie Greise, die nicht mehr laufen können, Menschen, die die ganze Flucht über getragen worden sind. Menschen, die in ihrer Heimat auf der Straße gelebt haben, aber auch Staatsanwälte und Richter.

Wie kann man sich den Zustand dieser Refugees vorstellen?

Es geht einigen ganz okay, aber es gab natürlich auch Todesfälle, aus Alter oder Schwäche, und viele Kriegsverletzungen. Immer wieder haben Bewohner versucht, über die Grenze zu kommen und sind bald darauf mit mehrfach gebrochenem Kiefer ins Camp zurückgekehrt.

Es hatten jedenfalls alle genug zu Essen, war mein Eindruck. Auch wenn die Polizei schon zu meiner Zeit die Durchfahrten der Volunteers mit Lebensmitteln versperrt hat, damit die Menschen das Lager schon der Räumung freiwillig verlassen.

„Meine Zeit dort war nicht nur bedrückend und schwer“

Du hast dort auch viel Leid erlebt, oder?

Ja, die Geschichten, die man dort hört, sind teilweise wirklich schrecklich. Oder es werden einem Fotos von Verwandten gezeigt, die in Reih und Glied tot auf dem Boden liegen. Andererseits ist es auch schön und interessant zu sehen, wie anpassungsfähig Menschen sind und dass sie meistens trotz ihrer momentanen Situation ein positives Denken bewahren können. Es wird viel gelacht, es werden schöne Geschichten erzählt. Die Kinder sind sowieso gefühlt immun dagegen und bauen sich ihr Spielzeug dann eben aus Mülltonnen. Meine Zeit dort war nicht nur bedrückend und schwer. Aber natürlich wird auch geweint. Und manchmal überkommt’s einen auch selbst, klar. Aber seltener, als man von außen denkt.

„Die Situation ist komplett eskaliert“

Welches Erlebnis vor Ort hat dich am meisten geprägt?

Das waren die Riots am 20. April, da versuchten tausende Refugees, die Grenze zu stürmen. Wir wurden zur Hilfe gerufen, eigentlich nur, um Wasser abzuliefern, das wir im Kofferraum hatten. Im Endeffekt haben wir Verletze aus dem Gefahrenbereich getragen und Augen ausgewaschen – denn Mazedonien schoss mit Tränengas, um die Grenze zu verteidigen. Die Situation ist dann komplett eskaliert, nachdem sich der Wind gedreht und das Gas quasi über die Grenze zurückgetragen hat, ohne den Aufständischen zu schaden. Da feuerte Mazedonien die Tränengasgranaten, deren Gewicht allein schon tödlich sein kann, fast ins gesamte Camp hinein und traf dabei auch das Familienzelt. Vorne an der Grenze wurden außerdem Gummigeschosse abgefeuert. Und wir waren plötzlich mitten drin. Man kann sich kaum vorstellen, wie einem dieses Tränengas zusetzt. Nicht nur, dass man kaum atmen kann. Das Zeug wirkt auf den gesamten Organismus, die Leute haben sich reihenweise übergeben. Und dann schlagen die Granaten ständig um einen herum ein. Diese Stunden waren schlimm und auch körperlich traumatisierend, ich zucke bei lauten Geräuschen immer noch zusammen. Vor allem war es auch schrecklich, wie gewaltsam und rücksichtslos die Handhabe von Militär und Polizei auf mazedonischer Seite war.

Das andere schlimme Erlebnis war vier Tage später, als die Griechen mit Jets und Hubschraubern im Tiefflug übers Camp geflogen sind um Bodentruppen abzuseilen, die dann im Camp Militärmanöver ausgeführt haben – zur Abschreckung Mazedoniens und zum Leidwesen aller Kriegstraumatisierten. Keiner wusste, was los war – sollte das Camp geräumt werden? Das war krass.

„Man entwickelt eine richtige Paranoia“

Hattest du auch in anderen Momenten Angst?

Klar hatte ich in diesen beiden Situationen die meiste Angst. Aber es gibt auch noch eine andere Form von Angst, die dauerpräsent war: die vor der politischen Repression. Einer meiner Volunteerkollegen war zum Beispiel eine Nacht im Gefängnis – wegen seines mitgeführten Messers, mit dem er immer den Ingwer für den Tee geschnitten hatte. Die Polizisten haben illegale Bodychecks bei ihm gemacht, ihn genötigt, geschlagen und gefoltert. Im September ist sein Gerichtstermin. Es gab auch die ganze Zeit über viele Kontrollen durch extrem unfreundliche Polizisten und es sind weitere Volunteers im Gefängnis gelandet. Es ist vielleicht gar nicht wirklich Angst, von der man hier sprechen muss, sondern man entwickelt eine richtige Paranoia, bei allem, was eine potenzielle politische Auswirkung haben könnte. Dazu kommt dann auch noch eine oft falsche Berichterstattung durch die Medien, sodass sich die Volunteers immer mehr abschotten, nicht mit Pressevertretern reden wollen und dann wiederum medial als linksradikale Aktivisten dargestellt werden, denen ihr Abenteuer wichtiger ist, als die Hilfe, die sie leisten.

Würdest du anderen einen Einsatz wie deinen empfehlen?

Ja! Ich würde aber auch raten, sich das gut zu überlegen, denn so etwas ist anspruchsvoll und verändert einen. Aber nachdem ich gemerkt habe, dass man etwas bewirken kann und die Hilfe notwendig ist – ja! Man kann natürlich auch hier helfen, indem man Geflüchtete beispielsweise bei Behördengängen begleitet, auch diese Hilfe ist notwendig. Wenn man vor Ort fährt muss einem bewusst sein, dass es immer auch eine politische Aktion ist – und das muss man wollen.

Wie kann man sich den Entscheidungsfindungsprozess vorstellen, wie hast du z. B. deine Organisation gefunden?

Den Entschluss, dort runterzufahren, habe ich innerhalb von Minuten getroffen. Dann habe ich gegoogelt, welche Organisationen so etwas machen und dabei auch nach Sympathie entschieden. Ich habe also dem Dresden-Balkan-Konvoi eine Mail geschrieben und innerhalb von Minuten eine Antwort bekommen. Und dann ging alles schnell. Die Entscheidung war also nicht tagelang durchdacht, sondern eher gefühlt. Es hätte natürlich auch schief laufen können, ist es aber nicht.

Bist du froh, dass du in Idomeni warst?

Ja! Und ich ärgere mich, dass ich nicht länger geblieben bin. Anderseits habe ich nach den 3 ½ Wochen auch das Bedürfnis gehabt, meinen Mikrokosmos wieder zu verlassen und das Ganze nochmal von außen zu betrachten.

„Niemand, der dort arbeitet, verdient Geld! Keinen Cent!“

Hast du eigentlich was für den Einsatz bezahlt?

Ja, im Endeffekt zahlt man drauf. Der Dresden-Balkan-Konvoi hat aber die Fahrt nach Idomeni bezahlt, was Teil deren Philosophie ist. Die Autos, der Sprit und unsere Wohnung vor Ort – es wird alles durch Spendengelder finanziert. Was man da unten an zusätzlichen Lebenshaltungskosten hat, zahlt man natürlich selbst, aber das ist keine große Nummer. Was mir aber noch wichtig ist: Niemand, der dort arbeitet, verdient Geld! Keinen Cent. Alle arbeiten zu 100 Prozent ehrenamtlich. Das wird in den Medien oft falsch dargestellt, obwohl man den Pressevertretern vor Ort immer wieder sagt: „We are independent Volunteers, we are not getting payed, we serve food to Refugees“.

Hast du einen politischen Traum?

© Barbara

Ja: dass Grenzen an denen geschossen wird, an denen mit Gewalt ein Territorium verteidigt wird, durch ein politisches Umdenken überflüssig werden. Dass ich nicht mit Menschen beim Chai-Trinken sitze und die ganze Zeit denke: Ich werde mich niemals wirklich in deine Lage versetzen können. Weil ich das Privileg habe, von meinen Eltern in Deutschland geboren worden zu sein. Deshalb habe ich diesen Pass, mit dem ich jederzeit über die Grenze laufen kann. Während mein Gesprächspartner im gleichen Alter, mit der gleichen Bildung, mit gleichen Ansichten das nicht kann, weil er diesen Pass nicht besitzt.

„Man muss sich nicht schlecht fühlen für das „gute“ Leben, das man hier lebt“

Wie geht’s dir jetzt, wo du wieder zurück in deinem Alltag bist?

Es geht einem jetzt schon irgendwie schlechter, weil man sich dort durch die Arbeit über die ganze Zeit hinweg gut gefühlt hat. Egal, wie bedrückend und schwierig manche Situationen waren. Nach allem, was man dort hautnah mitbekommen hat, ist es natürlich nicht einfach, sich hier wieder einzufinden. Ich bin aber trotzdem der Meinung, dass man sich nicht schlecht fühlen muss für das „gute“ Leben, das man hier lebt. Auch wenn es schwierig ist, zu wissen, dass die Menschen, die man dort lieb gewonnen hat, in ihrer Situation feststecken. Wie gesagt: Die Sinnhaftigkeit von seiner Lebensgestaltung hier in Deutschland relativiert sich, wenn man da war.

Verweigert dir das jetzt Freude, Genuss und Leichtigkeit?

Ja schon, das wird mir auch oft vorgeworfen. Anderseits: Die Entscheidung, runterzufahren, habe ich ja aus der Verzweiflung über die Situation heraus getroffen – mir war also vorher schon Freude genommen. Das, was übrig bleibt, ist aber nicht nur negativ. Man schöpft auch Hoffnung in die Menschlichkeit. Es ist unheimlich schön zu sehen, wie viele Menschen Flüchtlingsarbeit leisten und es befriedigt einen, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die aus demselben Bauchgefühl heraus dort runtergefahren sind. Die – wie ich – auf die Vernunft geschissen, und einfach mal gemacht haben. Und jetzt merken: „Ich kann selbst etwas tun und verändern“. Das erlaubt mir am Ende eine optimistischere Sicht auf die Dinge.

* Name geändert

An dem Tag, an dem ich Janoś dieses Interview zur Freigabe geschickt habe, wurde übrigens auch der Forest geräumt.