Alec Troniq: der verträumte Individualist mit Spieltrieb

Was vor vielen Jahren last.fm war, ist heute Spotify: eine musikalische Goldgrube, die dich die Zeit vergessen lässt, Wege in die Gegenwart und vielleicht sogar Zukunft ebnet, Tore zur Vergangenheit öffnet und Ideen für neue Blogbeiträge generiert.

Bei meiner Zeitreise in die Jahre 2011 bis 2016, geguided von der Spotify-Funktion, ähnliche Tracks wie den eben gehörten vorzuschlagen, bin ich gestolpert, kleben geblieben und habe mich begeistert wieder empor gestreckt – um einen neuen Lieblingskünstler reicher. Alec Troniq.

Seine Tracks wie „The Avaiting“, „Faces“ und „Good Morning Children“ aus den Jahren 2013 bis 2015 kicken rein und treffen genau den richtigen Nerv.

Der Sound ist sexy. Es knarzt und groovt, genau mein Geschmack. Viele der Tracks hat Alec Troniq als Duo mit Gabriel Vitel aufgenommen und ich kann mir lebhaft vorstellen, mit wie viel Spaß und Leidenschaft sie zusammen im Studio gearbeitet haben. Die Tracks kommen in meine Playlist „Augen zu und durch“, ich feiere den Sound … beim Aufräumen, beim Zähneputzen, beim Schreiben, sogar zum Einschlafen.

Als wissbegierige Redakteurin reicht es mir nicht, die Musik zu konsumieren. Ich konsultiere dieses Internet, um zu schauen, wer diese wunderbare Musik macht. Die Ecosia-Suche spuckt Bilder von einem Blondschopf an den Decks aus. Bei Instagram hat Alec Troniq ein Profilfoto, auf dem er vermummt ist.

Ich schreibe ihm: „Wunderbare Musik, danke!!!“ Und er schreibt zurück. Ratzfatz. Es entsteht ein fluffig-flowiger, lustiger Dialog, erst getippt, dann (ein)gesprochen.

Und dann gibt es da dieses Konzert am 5.5.2023 in Potsdam.

Alec, Joyce Muniz und Andreas Henneberg spielen zusammen mit dem Filmorchester Babelsberg. Das wird groß.

Vor langer Zeit war ich bei Superflu und den Dortmunder Philharmonikern – einem Konzert, das unter dem Titel „Groove Symphony“ elektronische und klassische Musik aufeinander prallen und verschmelzen hat lassen.

Nein, wenn ich sage dass ich elektronische Musik höre meine ich damit nicht „Hottentottenmusik“, wie mein Vater immer geunkt hat.

Was ich höre, ist so viel mehr und etwas ganz anderes als „inz inz inz, Boom Boom Bang“. Und am 5. Mai gastieren die drei Musiker*innen im Nikolaisaal, um kurze Solo-Sets aber auch back to back mit dem „begnadeten“, wie Alec weiß, Orchester zu spielen.

„Synth Happens Clubnight“ lautet der Titel der Veranstaltung (ein paar restliche Tickets gibts hier), die beweist, dass Elektronisches und Handgemachtes zu einer wunderbaren Symbiose werden kann. Seit einem Monat proben die Drei intensiv und jetzt ist auch der Drummer, Stixonspeed, hinzugekommen. Kommenden Mittwoch steht die Vorprobe mit dem Orchester an … dabei war es für die DJane und die zwei DJs schon, vor allem in technischer Hinsicht, teils kniffelig, gemeinsam zu üben, weil jede(r) seine eigene Arbeitsweise und andere Gerätschaften hat.

Dass Andreas und Alec mal gemeinsam einen solchen Abend bestreiten würden, hätten sie vor ein paar Jahren wohl nicht gedacht.

Alec kennt Andreas schon lange als Künstler und hat ihm sogar mal einen seiner Tracks geschickt – mit dem Ziel, ihn auf seinem Label zu veröffentlichen. Andreas hat sich die Nummer, die Alec schließlich deshalb woanders released hat, gar nicht erst angehört. Es sollte ein Hit werden und schließlich kam Andreas auf ihn zu; seitdem veröffentlicht Alec unter anderem auf seinem Label Snoe.

“ Wir schätzen uns sehr, wir ähneln uns vom Typ her, von der Musik her auch und von der Eigenbrödlermentalität her ebenfalls“, schmunzelt Alec.

Am 5.5.2023 spielen sie schlussendlich vor 725 Zuhörer*innen, wobei das Konzert Tracks sammele, die für Alec selbst Lieblinge seien, auch Unveröffentlichte, so der Künstler. Sein Sound ist dabei breit gefächert. Selten habe ich eine Divergenz zwischen Tracks und Sets gehört, wie bei Alec. Während mir die bei Spotify entdeckten, alten aber wunderschönen Hüte so gut reinlaufen, sind die Live-Aufnahmen durchweg verschrusselt. Ein von mir für seinen Sound spontan erfundenes Wort, das er sogar zitiert. Ja, technoid und verschrusselt. So hat er auch letzten Sonntag in einem Dresdener Club gespielt. Statt wie geplant von 10 bis 12 Uhr den Kapellmeister zu machen, ist 17 Uhr draus geworden. Es soll sich gelohnt haben :).

Der Mitte 30-Jährige, der nicht gerne viel von sich Preis gibt, ist Vollblut- und Vollzeitmusiker: Er ist jeden Tag im Studio, wo er auch viel Zeit mit dem Mastering für andere Künstler verbringt. Außerdem arbeitet er in einem Club als Booker und organisiert eigene Veranstaltungen.

Seiner großen Liebe, der Musik, fröhnt er seit seinem elften (!) Lebensjahr;

damals hat er herausgefunden, dass man am PC nicht nur zocken, sondern auch Musik machen kann. Während Zocken für ihn reines Entertainment war, konnte er durch’s Musikmachen auch was zeigen – das gefiel ihm. Er war eh seit seiner frühesten Jugend Technoliebhaber … diese Kombination hat sich schnell verselbstständigt.

Mit 18 hat er seinen ersten Gig vor Publikum gespielt, in einer Dresdener Afterhourhöhle, zusammen mit Polarkreis 18, die damals noch unbekannt waren. Der musikalische Tausendsassa mag viele verschiedene Musikarten: „Eigentlich alles außer Rap und Metal“. In den 90ern groß geworden, hat er die vielen aufploppenden Genres gefeiert, Prodigy geliebt, Depeche Mode verehrt, den Electroclash aus den 80ern zelebriert und Techno wie auch Electro in all seinen Facetten konsumiert.

„Ich fand schon immer Stilmischungen spannend, die sich gegenseitig befruchten, mag ungewöhnliche Musik und mich langweilt alles, was sortenrein ist, zum Beispiel reinrassiger House und Techno. Musik wird doch immer erst spannend, wenn sie kreativ verbaut wird.“

Sein Sound ist experimentell und originell, er hat auch schon mit Jazzbands gespielt. Ein Großer, der ihn sehr beeinflusst hat, ist Moby; der kam aus dem Hardcore Techno, der Gabberszene aus den Anfängen der 90er und habe schließlich „richtig guten Pop“ gemacht.

Im Moment fährt er voll auf Camo & Krooked ab, ein österreichisches Produzentenduo, das seine Wurzeln im Drum’n’Bass hat. Seine neuste, just erschienene EP „Flood of the Material“ ist zackig und verschrusselt, kommt aber gleichzeitig melodisch und mit Vocals daher.

Alec Troniq, die Wundertüte, die Schachtel Pralinen von Forrest Gump: Man weiß nie, was man bekommt.

Mitunter ist er sogar unbewusst ein Trendsetter. Es gab in seiner beruflichen Karriere drei oder vier Mal das Phänomen, dass seine Arbeit extrem erfolgreich war und der vorgespielte Stil danach zum Trend wurde. Alec spielt das runter, Understatement: „Das ist ein Zeichen dafür, dass alles was man macht ein Spiegel des Zeitgeistes ist – etwas neu zu erfinden geht in der Szene eh kaum“.

Sein Hit „We’ve been 1000“ war so eine Steilvorlage, released auf Hennebergs Label Snoe. Mich erinnert der Anfang an den guten alten Beatbox Rocker and you’re Dancing to my Beat, doch die 1000 entwickeln sich ganz anders.

Und dann gibt’s da noch Tracks mit ulkigen Namen wie Pimpernuckel. Richtig gelesen. „Da war ich albern angehaucht und wollte gute-Laune-Zeug machen, das hat zu meiner damaligen Lebensphase gepasst und hat in einen Trend gemündet. Und wieder: „Immer wenn ich was sehr Erfolgreiches hatte, war mir gar nicht bewusst dass es zum Trend wird.“

Dass er sich den synthetischen Klängen vor mehr als zweieinhalb Dekaden hingegeben und sich auf die Fahne geschrieben hat, House und Techno aus der Clubnische zu ziehen, wird mit hohen Chartplatzierungen belohnt. Während er bei seinen live Performances eher dynamisch ballert, sind seine Tracks bisweilen ver- und bezaubernd und gar träumerisch. In meinen Augen und Ohren ist Alec hochbegabt und dass er meine Lieblings- und letzte Frage sofort, statt im Nachhinein beantworten kann, beweist sein Reflexionsvermögen: In drei Worten beschreibt er sich so, dass der Abschluss zum Anfang, nämlich zum Titel wird. Siehe oben.