Am Freitag musste ich zu Voruntersuchungen ins Krankenhaus. Um 8 Uhr sollte ich antanzen und auf meinem Zettel stand: „Je nach Patientenaufkommen und nötigen Untersuchungen kann ihr Aufenthalt bis zum späten Nachmittag dauern“. Tatsächlich war ich bis 15:30 dort. Wo ich doch dachte, das Schicksal sei mir bestimmt mal wohlgesonnen und ich könnte spätestens vormittags die Biege machen. Aber: Ich habe mich zu keiner Sekunde über die eigentlich elendige Warterei geärgert, nein! Dann wären mir ja viele herrliche Erlebnisse entgangen. Und es gäbe diesen Beitrag gar nicht. Dessen Titel mir noch vor Ort eingefallen ist. Ich mag den irgendwie sehr, deshalb auf repeat! „Kuriositätenschleuder Krankenhaus – wo Warten sich lohnt“. „Keimschleuder“ kann ja jeder.
Bei der ersten Etappe des Tages, dem Einchecken in die HNO-Abteilung, war alles noch ganz normal. Keine besonderen Vorkommnisse. Kein Indiz dafür, dass mich im Laufe des Tages zeitweise das Gefühl beschleichen würde, Opfer von „Versteckte Kamera“ zu sein. Die (sonderbaren) Dinge nahmen erst ihren Lauf, als ich in die Anästhesie musste. Dort die Nummer 10 gezogen und auf der Leuchttafel die „3“ erblickt, beschloss ich:
„Geil, Kaffee und Kippe!“
Von meinem letzten Aufenthalt hier im St. Elisabeth wusste ich: Gegenüber des Krankenhauses gibt es einen Kiosk. Damals war an Essen, Trinken und Rauchen nicht zu denken. So war das am Freitag mein erster Besuch dieser … Institution. In die man übrigens gar nicht rein kann; verkauft wird durchs Fenster. Davor lädt ein 2,50m langer Tresen zum Verweilen ein. Mich zumindest. Und mir war sofort klar: Hier kennt man sich. Das ist ein Treffpunkt mit Stammkundschaft. Im 2-Minuten-Takt kommen die Kunden. Alleine oder gruppenweise, von der Baustelle, Handwerksbetrieben, aus der Nachbarschaft (nein, außer mir niemand aus dem Krankenhaus). Und die meisten sprechen sogar Kölsch. Das geht dann ungefähr so:
Zwei Bauarbeiter wollen Frühstück:
„En Halves met Mett!“
„Für mich och!“
„Jit nur noch ens.“
„Och nööö, hast du Kackaasch jetzt das letzte mit Mett jekriegt? Dann eins mit Salami!“
1 ½ Minuten später, der nächste Handwerker hat Hunger:
„Eens met Mett!“
„Mett is aus.“
„Is aus? Och nööö! Dann mit Salami!“
„Auch aus. Nur noch Ei und halver Hahn.“
„Lass stecken, dann lieber n Kaffee“.
(Sorry an alle „echten“ Kölner. Ich hab zwar extra ein Kölsch-Wörterbuch benutzt, aber vollends korrekt war das hier bestimmt nicht.)
Ich fand dieses Treiben ganz herrlich. Und schlürfte währenddessen einen Cappuccino. Den hatte ich ausdrücklich ohne Zucker bestellt, was auch per lautem Ruf in die „Küche“ weitergegeben wurde. Doch als der … tja, was ist er bloß? … „Kaffeebeauftragte“ (?) mich sah, wurde nicht lange gefackelt: „Wat?! Mädche, wat soll dat denn wäde? De kanns der Zucker schon vertroge!“. Und dann war er auch schon drin, der Zucker im Cappuccino. Hat sogar ganz gut geschmeckt.
Nächste Szenerie: Wir haben hier in Köln ja noch nicht so richtig Sommer, sondern gaaanz viel Regen. Freitag war wieder so ein Tag, wo es immerzu aus buchstäblich heiterem Himmel gussartig plätscherte. Toll, dass der Kiosk ne große Markise hat! Da suchte ein Herr mit Hut und Rauhaardackel Unterschlupf. Zwei Minuten später der nächste Herr. Ohne Hut und Dackel, aber umso aufmerksamer. Herr ohne Hut zum Dackel: „Och Gottchen, biste aber müde heute, wat?“ Herr mit Hut und Dackel: „Ja ja, mer sinn ja auch gestern erst ausm Urlaub zurückjekumme!“. Herr ohne Hut: „Ah sooo, ja dann is ja klar!“. Mit einer unglaublichen Ernsthaftigkeit! Köstlich!
Der Cappuccino war leer und auf der Anzeigetafel ja bestimmt auch schon mindestens die Nummer 8 angezeigt (es sollte sich herausstellen: Nach meinem halbstündigen Ausflug war es die Nummer 4, die mich fies anlachte). Auf dem Weg durch die Eingangshalle des Krankenhauses hielt mich eine Omi an. Den Hörer in der Hand und die Stirn (wohl ob Überfragtheit) in Falten gelegt, stand sie in einer Fernsprechzelle.
„Entschuldigung, können sie mir helfen? Muss ich die „0221“ vorwählen, wenn ich auf dem Handy anrufe?“
„Bloß nicht! Und sie müssten auch ganz schön viel Geld da reinwerfen, wenn sie auf ein Handy anrufen wollen, glaub ich. Nehmen sie lieber meins.“
„Ja wirklich? Ich gebe ihnen dann auch Geld.“
„Das brauchen sie nicht, ich hab ne Flat-(…)“
„0157-65 (…)“
„Äh, Moment, ich muss das erstmal das Telefon aus der Tasche holen und bis ich dann tatsächlich die Nummer eintippen kann, dauerts auch noch ne Weile.“
Circa 20 Sekunden später ging das Gespräch dann los: „Gitti? Hier ist die Mama. Ich steh jetzt unten in der Halle, die haben mich schon rausgeschmissen. Kannst du mal versuchen, die Inge zu erreichen? Aber ich glaub, die ist beim Friseur – ist ja Freitag. Und dann sagst du mir, ob die mich mit dem Auto abholen kann? Hast du meine Handynummer? Nein nein, ich ruf von ner jungen Dame ihrem Handy an. Prima, bis gleich.“
So viele Fragen in meinem Kopf! Wer ist Inge? Geht die echt jeden Freitag zum Friseur? Hat Gitti kein Auto? Hat Gitti wirklich die Handynummer ihrer Mutter? Kann ich Gittis Mutter überhaupt alleine hier lassen, bis Inge, ein Taxi oder sonst wer sie holen kommt?
Und dann will sie mir doch noch Geld geben. „Auf keinen Fall!“. Ich suche schon das Weite, doch sie hält mich am Arm fest, lässt ein 2-Euro-Stück in meine Tasche plumpsen, klopft mir auf die Schulter und sagt: „Sie sind ne Gute. Und wennse das Geld nicht wollen, tun sie’s ins Opferkästchen!“. Interessanter Vorschlag.
Um zwei Euro reicher wartete ich dann noch mal 3 ½ Stunden in der Anästhesie, bis ich dringend wieder frische Luft brauchte. Juchu, zurück zum Kiosk. Vor der Tür angekommen, traute ich meinen Augen kaum. „Leck mich en de Täsch!“ Vor dem Kiosk stand mittlerweile dieses Gefährt:
Der Besitzer war schnell ausgemacht, umringt von sechs beeindruckten Männern. Er schwadronierte und genoss das Rampenlicht. Anerkennendes Nicken und viele „Ohs“ und „Ahs“ ließen seine stolz geschwellte Brust fast platzen. Ich fand das so niedlich. Brauchte aber trotzdem eine ganze Weile, um mich zu überwinden: „Entschuldigung, dürfte ich ein Foto von diesem … Ding machen?“. „Natürlich, natürlich, aber sicher! Das hat mein Sohn für mich gemacht!“. Dieser Sohn muss seinen Papi wirklich lieb haben. Oder auch gar nicht. Und vor wenig zurückschrecken. Gerade, als ich mit dem Knipsen loslegte, fiel dem Deutschland-Mobil-Besitzer ein: „Warten sie, warten sie, ich ruf die Hunde, dann gucken die!“ Na gut. „Oskar, Gizmo, hier! Verteidigen!“. Aha, das waren also die Wachen. Es funktionierte jedenfalls einigermaßen (bei einem) und nun platze der Hemdknopf der geschwellten Brust wirklich fast ab.
Ich beschloss danach, dass ich meinen Krankenhausaufenthalt überwiegend hier, an diesem Tummelplatz des Skurrilen verbringen würde. Um ganz viele solcher Beiträge schreiben zu können. Denn auch wenn es fast so wirken mag: Ich habe mir das hier nicht ausgedacht. Wegen einer ungünstigen Mischung aus unerwarteter Müdigkeit und hohem Besucheraufkommen war ich aber kein einziges Mal mehr beim Kiosk. Tut mir leid. Dabei könnte man da im Nullkommanichts ganze Sozialstudien machen. Und das 3-Gänge-Menü wollte ich eigentlich auch verputzen.
Vielleicht morgen bei der Entlassung.
Saved the best for last
Einen hab ich aber noch. Als ich Freitag eeeeeendlich in der Anästhesie fertig war und wieder hoch in die HNO-Abteilung musste, kam’s zu meinem persönlichen Highlight des Tages: „So, Herr Albrecht, kommen sie mal mit mir mit zum Geschmackstest“. „ZUM SCHNAPSTEST???“. Ich konnte nicht mehr. Wird aber noch besser. Der Test wurde nämlich – hatte ich ein Glück!! – bei offener Tür abgehalten.
Sehen konnte ich zwar nichts, aber das Hören reichte. Herr Albrecht (der schon ganz schön alt und sehr putzig ist) musste offenbar irgendwas probieren und anschließend die Geschmacksrichtung definieren. Doch man hörte lange Zeit nichts. Bis die Krankenschwester fragte: „Herr Albrecht? Sie sehen aus, als wäre das sauer?“. „Sauer ist gut, mir fällt gleich die Prothese raus!“
[…] einen Kuriositätenbericht […]