Letztes Jahr hatte ich einen tollen Plan: Ich wollte mein Erspartes bei Oikocredit anlegen, auf dass es positiv in wirtschaftlich benachteiligten Ländern wirkt. Dazu kam es bis heute nicht, denn ich habe das Geld stattdessen verjubelt, für meinen Myanmaraufenthalt. Nun habe ich es aber immerhin zu einer Veranstaltung der Organisation geschafft, die mit ethischen Geldanlagen Entwicklung fördert. Nee, keinem staubtrockenen Infoabend, im Gegenteil:
Ich war zum ersten Mal in einer Kaffeerösterei, durfte den George Clooney unter Ecuadors Kaffeeverkostern erleben und habe gelernt, dass man bei der Qualitätskontrolle meines Lebenselixiers dessen Kruste zu brechen hat.
Im Ernst! Aber noch mal zurück zum Anfang:
Es war im Spätsommer letzten Jahres, als meine Freundin Katharina mir von ihrem neuen Job vorschwärmte. Mein erster Gedanke war ein bewunderndes „Wow“. Dafür, dass Katharina was Sinnvolles macht, für die gute Sache. Konkret für gutes Geld. Geld, das die Existenz von Menschen sichert, denen es nicht so gut geht wie uns. Zweiter Gedanke:
„Ich glaub, ich investiere!“. „Eeeecht?“. Ja Mann, echt.
Denn es begab sich zu einer Zeit, in der mir erst wenige Tage vorher klargeworden war: „Ich habe zum ersten Mal in meinem ganzen Leben Erspartes“. Nicht nur wegen mangelnder Notwendigkeit, sondern auch schlichtweg aus Desinteresse und Bequemlichkeit habe ich mir allerdings keinerlei Gedanken darüber gemacht, was ich mit diesem Geld anstellen könnte, bis es in eine Großanschaffung oder einen Umzug fließt.
Ich bin comdirect-Kunde, da gibt’s zum Girokonto neben einer VISA-Card ein Tagesgeldkonto. Da hab ich alles draufgepackt. Meist direkt am Tag des Gehaltseingangs. Nen dicken Batzen. Um spätestens gen Ende des Monats wieder was auf’s Girokonto zurückzuüberweisen.
Schnell merkte ich, dass es meinem Sparverhalten nicht gerade zuträglich ist, in meiner comdirect-App alle Konten auf einen Blick zu sehen.
Besser wäre ein weiteres Konto bei ner anderen Bank, wo ich leicht hin- aber nicht so einfach zurücküberweisen kann. Nach dem Motto „aus den Augen, aus dem Sinn“. Schön den Zaster woanders parken.
Und dann erzählte Katharina mir von der internationalen Genossenschaft Oikocredit, deren ethische Geldanlagen positiv in der Welt wirken, während meine Penunsen wohlmöglich in Rüstungsfirmen, Raubbau an der Umwelt und spekulative Finanzgeschäften fließen. Ich muss zugeben: Ich habe davor lange die Augen verschlossen. Keine Lust gehabt, mich damit auseinanderzusetzen. Ich bin bei so was aber auch einfach n Drückeberger: Mir fehlt oft schlichtweg die Muße, mich mit etwas Neuem, möglicherweise sogar Kompliziertem zu beschäftigen, erst recht wenn’s nicht dringend nötig ist.
Gut, eine Freundin wie Katharina zu haben, die mir alles idiotensicher und sogar enthusiastisch erklärt. Dass ethisches Investment regelrecht en vogue ist, hatte ich sogar selbst mitbekommen. Aber von Oikocredit habe ich noch nie gehört, dabei vergibt die Genossenschaft mit Sitz in den Niederlanden schon seit 1975 Darlehen und Kapitalbeteiligungen an Partnerorganisationen in Entwicklungs- und Schwellenländern.
Ich verstehe das so: Man kann sich Oikocredit, tatsächlich eine internationale Entwicklungsgenossenschaft, wie ein soziales Finanzinstitut vorstellen, das (Kleinst-)Unternehmern hilft, sich selbst zu helfen. Einerseits durch Mikrokredite, die es Menschen mit geringem Einkommen ermöglichen, sich eine Existenz aufzubauen. Anderseits fließt das Geld der Anleger in Genossenschaften im Fairen Handel, die Kleinbauern unterstützen.
Das gefällt mir, bedeutet es doch echte Wohltat im Sinne des Wortes. Und mehr Wohltat, als eine dezemberliche 1-Mal-Spende für einen guten Zweck erreichen kann.
Was natürlich nicht heißen soll, dass Spenden keinen Sinn machen. Aber dass Oikocredit sich auf die Fahne geschrieben hat, aus Geld „gutes Geld“ zu machen, nämlich ein
Gestaltungsmittel für gesellschaftlichen Wandel das zwar keine fette Rendite, dafür aber die große Chance bietet, die Lebenssituation wirtschaftlich benachteiligter Menschen zu verbessern,
hat mich ruckzuck überzeugt. Wenn ich mich dann für’s Anlegen entschieden hätte, statt mein Erspartes für’s Reisen auszugeben, wäre auch aus meinem Geld ziemlich einfach gutes Geld geworden, denn das Prozedere ist weniger kompliziert, als ich befürchtet hatte. Auch wenn es jetzt vielleicht erstmal kompliziert klingt.
Oikocredit besteht in Deutschland neben der Geschäftsstelle in Frankfurt aus acht regionalen Förderkreisen, über die man seine Anteile erwirbt. Voraussetzung für eine Geldanlage ist der Beitritt in einen der Förderkreise, die Vereinbarung kann man sich runterladen oder zuschicken lassen. Mit dabei ist auch ein Postident-Formular. Beides ausfüllen, zur Post dackeln und dort per Ausweis seine Identität bestätigen und schwupps ist man Förderkreismitglied, sogar ohne Porto bezahlen zu müssen, wie nett.
Die Aufnahmebestätigung kommt per Post und jetzt überlegt man sich, wie viel Geld man anlegen möchte, wobei der Mindestbetrag 200 Euro beträgt.
Die überweist man und hat danach Oikocredit-Anteile und die Gewissheit, dass aus dem Zaster „gutes Geld“ wird, indem es in sozial verantwortliche Projekte investiert wird. Wenn ich mein Erspartes nun schon vor meiner Reiseplanung bei Oikocredit angelegt und es dann pronto zurück gebraucht hätte, wäre das auch kein Problem gewesen: per schriftlicher Kündigung kann ich jederzeit veranlassen, dass der Förderkreis meine Genossenschaftsanteile verkauft und ich mein Geld zurückbekomme. Das wäre natürlich nicht Sinn und Zweck der Sache, aber ist doch wichtig und beruhigend zu wissen, finde ich. Dass die Dividende auf maximal 2 % p.a. begrenzt ist, interessiert mich dagegen ehrlich gesagt nicht die (Kaffee)Bohne.
Kaffeebohnen haben mich bislang übrigens ähnlich wenig interessiert, wie das, was meine Bank mit meinem Geld anstellt, dabei trinke ich wirklich viel Kaffee. Vorzugsweise aus Kölns ältester Kaffeerösterei Schamong, die in direkter Nachbarschaft liegt. Praktisch und egal welchen Espresso ich mir dort mahlen lasse: Alle Sorten schmecken fantastisch und sind herrlich bekömmlich.
Woher und wie die Bohnen in die Kölner Rösterei kommen, ob sie fair oder sogar direkt gehandelt sind und wie sie verarbeitet werden – so weit habe ich bislang nicht über meinen Kaffeetassenrand hinaus geschaut.
Jetzt aber, seit dem ich bei besagter Veranstaltung war: „Gutes Geld on Tour“. On Tour waren zwei Vertreter der ecuadorianischen Kaffeegenossenschaft FAPECAFES, einer Partnerorganisation von Oikocredit, in die das „gute Geld“ fließt, um sozial und ökologisch verantwortungsbewussten Kaffee zu produzieren. Diesen Kaffee beziehen unter anderem die Flying Roasters, ein Röstkollektiv mit Rösterei im Berliner Stadtteil Wedding, Ausgangspunkt des Kaffeespaziergangs.
Röstmeister Oli führt uns durch die heiligen Hallen, konkret eine ziemlich kleine Halle mit Garagencharme (aber natürlich sauber!) und erklärt uns die traditionelle Röstmaschine, die zwar nicht mehr mit Stoppuhr, Zettel und Stift, sondern mit Steuerungspult betrieben wird, aber trotzdem „nach archaischem Prinzip“ arbeitet:
Die heiße Trommel im Röster dreht sich wie eine Waschmaschine, und zwar laaaange. Zumindest verglichen mit industrieller Röstung: Dabei werden die Bohnen bei 500 Grad gerade mal 90 Sekunden durchgefeuert, bei den Flying Roasters dauert die Behandlung satte 17 Minuten, bei 260 Grad – auf dass der Kaffee nicht auf den Magen schlägt.
In der Ruhe liegt nämlich auch die Kraft, mehr Chlorogensäure abzubauen als es die Speed-Industrie-Röstung vermag, sodass der Kaffee bekömmlicher wird.
Außerdem ermöglicht nur der Schongang den Böhnchen, ihre bis zu 800 (!) Aromen voll zu entwickeln. Dass die sich nicht im Eilverfahren rauskitzeln lassen, leuchtet ein. Und wie der Oli da so von der optimalen Röstkurve, der Zuckerkaramellisierung und Zellstrukturen spricht, wird mir klar: Das ist echte Handwerkskunst.
Wie ich gerade lesen muss, ist der Kaffeeröster aber seit 1972 kein geschützter Lehrberuf mehr. Die Eroberung des Markts durch Industriekaffee hat damals viele Ausbildungsbetriebe platt gemacht. Gut, dass beim Kaffee mittlerweile eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte stattgefunden hat, gepaart mit einem Bewusstsein für ethischen Konsum. In dem von vielen als nervig empfundenen „Kaffeehype“ stecken ja auch Chancen und ungefähr so viel Potenzial, wie Aromen in den Bohnen.
Die Flying Roasters sind dafür ein Paradebeispiel: Das Kollektiv „erprobt den Brückenschlag zwischen sozialem Anspruch und Qualität“, bezieht seinen Kaffee, dessen Ernte es zinslos vorfinanziert, von kleinen, demokratisch organisierten Kollektiven und zahlt dafür einen stabilen Preis von mindestens 2,85 Dollar pro Pfund. Das sind 1,45 Dollar mehr als bei Fairtrade – dem Gütesiegel, das einst maßgeblich zur Förderung kooperativer Strukturen beigetragen hat, von dem aber heute häufig nur die Einzelhändler, nicht aber die Kaffeepflücker und -bauern profitieren.
Anders verhält es sich bei Direct Trade: Hier liegt der Fokus vor allem auf der Zusammenarbeit mit den Kleinbauern und Röstern direkt vor Ort, kostenintensive Zwischenhändler sind ausgeschlossen und der unmittelbare Handel sichert den Farmern längerfristig ein höheres und safes Einkommen sowie menschenwürdige Arbeitsbedingungen.
Direct Trade ist, anders als die Fairtrade-Zertifizierung, kein eingetragenes Gütesiegel, sondern eine strenge Selbstverpflichtung im Umgang mit den Kaffeebauern.
Dafür reisen Abgesandte der Flying Roasters regelmäßig in die Anbauländer und besuchen die Kooperativen und Produzenten vor Ort. Was mir richtig gut gefällt: Im Onlineshop gibt’s neben einer wirklich sinnvollen und hilfreichen Beschreibung jeden Kaffees (hier mal beispielhaft der Nachtigall):
In der Tasse:
Aromen von Bitterschokolade, geröstete Haselnuss, lebendig, kräftiger Körper, erstklassige Crèma.
Empfohlen für:
Der Nightingale ist außer mit dem Siebträger auch besonders gut für Vollautomaten und Herdkännchen anwendbar.
auch ausführliche Infos zu dessen Herkunft, sogar mit Videos die die Röster bei ihren Besuchen vor Ort zeigen. Da schmeckt der Kaffee doch gleich noch viel besser. Wobei er wirklich fantastisch schmeckt … durch die Hinterhofrösterei hallen viele „Aaahs“ und „Ooohs“, als wir die Sorten (die allesamt Vogelnamen zieren) probieren, bevor es zum nächsten Spot geht. War ja n Kaffeespaziergang, nicht bloß ne Führung.
Die Karawane zieht weiter, aber ohne Kaffeedurst, sondern jeder mit einem vollen, knatschgrünen Mehrwegbecher für Coffee to go (gesponsert vom Bundesministerium für Umwelt), in der Hand. Schönes Bild glaube ich, hab aber leider keins gemacht – sorry.
Im Baumhaus, einem Raum für sozial-ökologischen Wandel, der – wie eine sehr spitzfindige Teilnehmerin feststellen musste – ja aus Steinen ist, stellt Katharina, eben noch als Anführerin Rattenfängerin von Hameln, ihren Arbeitgeber Oikocredit vor bevor sie das Wort an Vinicio Martinez Jaramillo übergibt, den Präsidenten von FAPECAFES der aus erster Hand erklärt, was gutes Geld mit fairem Kaffee zu tun hat. Der Verband unterstützt, unter anderem mit dem „guten Geld“ von Oikocredit, 1.200 kleinbäuerliche Kaffeebetriebe Ecuadors hinsichtlich ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit und erklärt:
Wir brauchen faire Preise, denn sie ermöglichen uns, unser Leben in Würde zu gestalten.
Und dabei empfinde ich den Kaffee, den es – natürlich – unter anderem bei den Flying Roasters gibt, gar nicht mal als teuer: 250 Gramm gibt’s hier ab 5,90. Das ist dieselbe Preisrange wie bei Kölns Kaffeeinstitution Schamong
(wo ich mittlerweile übrigens erfragt habe, dass man sich als Mitglied der Deutschen Röstergilde dem Direct Trade verpflichtet hat, da aber „bestimmt noch Luft nach oben ist“ . Ah ja.).
Bei Van Dyck zum Beispiel, eine ebenfalls bekannte, aber nicht traditionsbewusste sondern hippe Kölner Rösterei, rühmt man sich auf der Startseite mit „Bio & Fair. Qualität ohne Kompromisse“ und verlangt 8,20 Taler für 250 Gramm, aber konkrete Infos zu Partnerkooperativen vermisst man hier. Umso interessanter sind die Schilderungen und Einblicke von Vinicio, der berichtet:
„Gerade in Ecuador ist es für die Kooperativen nahezu unmöglich, staatliche Kredite zu bekommen, geschweige die Zinsen zu bezahlen.“
Unter anderem durch die Unterstützung von Oikocredit ist FAPECAFES heute einer der wichtigsten biologisch produzierenden Kaffeeexporteure Ecuadors und preisgekrönter Fairtrade-Partner, der aus überschüssigen Gewinnen zahlreiche Community-Projekte finanziert. Und FAPECAFES hat eben den George Clooney unter den Chef-Verkostern, jetzt guckt doch mal bitte:

© Nicolas Villaume
Nur George ist halt älter, klar. Der José jedenfalls stand bei der dritten und letzten Parkbank der Kaffeewanderung im Rampenlicht: Im Biergarten der Panke, einem sagen wir mal sehr kreativen, linksalternativen Ort hat er mit uns Teilnehmern ein professionelles Coffeetasting gemacht.
Nun waren die Bedingungen hier wahrscheinlich ganz anders, als bei Josés „echter“ Arbeit. Aber wir konnten dennoch erahnen, wie streng es bei seinen Qualitätskontrollen zugeht, klar:
hochwertiger Kaffee wird sehr genau unter die Lupe und in den Mund genommen.
Die sensorische Analyse (die in der Wertschöpfungskette mehrmals stattfindet) nennt sich Cupping. Dabei wird Kaffee mit 90-92 Grad warmen Wasser aufgegossen und nach (bitte exakt!) vier Minuten Extraktionszeit gilt es, die entstandene Kruste aufzubrechen.
Nee nee, nix Crema, Kruste! Und während des Brechens ebendieser sollte man den Rüssel möglichst nah über die Tasse halten, denn unter der Kruste sammeln sich die Aromen (ja genau: wahrscheinlich ca. 800), die beim Brechen besonders gut erschnüffelt werden können.
Hier gilt: Je intensiver und angenehmer der Kaffee riecht, desto besser fällt die Bewertung aus. Was danach beim professionellen Kontrollieren passiert, wurde in der Panke zur Mordsgaudi: Die restlichen Kaffeekrümel von der Oberfläche abgeschöpft:
wird das braune Elixier probiert – aber wie!!? Ich muss an meine Tante denken, ihres Zeichens Sommelière, die nicht davor zurückschreckt bei Familienfeiern in feinen Restaurants Weine zu testen, indem sie einen ordentlichen Schluck schmatzend gurgelt – sehr zum Leidwesen meiner Großeltern.
Kaffee wird nicht minder elegant auf die Geschmacksprobe gestellt: José saugt einen Schluck mit ordentlich Zug im Mund ein – so kräftig, dass dabei laute Schlürfgeräusche entstehen. Damit sich die Aromen im gesamten Mundraum verteilen und von allen Rezeptoren aufgenommen werden, klar. Dabei büßt José zwar ein wenig seiner Clooney-Haftigkeit ein …
… aber Job ist Job und nur mittels dieser energischen Einsaugtechnik lassen sich Geschmack, Nachgeschmack, Säure, Körper, und Ausgewogenheit fachmännisch beurteilen. Von ihm zumindest.
Wir Besucher scheitern größtenteils schon am fachmännischen Saugen, haben aber umso mehr Spaß.
Und schmecken trotzdem Unterschiede zwischen den Kaffeeproben: Eine Sorte ist blumiger, die andere, weniger geröstete, erinnert ein bisschen an Cognac oder Whiskey. Bei der industriellen Zubereitung werden die Aromen, die eigentlich durch schonendes, langes Rösten aus der Bohne hervortreten, übrigens künstlich hinzugefügt. Zum Beispiel Vanille- oder Mandelextrakt. „Iiih“, kommentiert meine Omi das. Und sagt am nächsten Morgen bei ihrer Tasse Jacobs: „Irgendwie schmeckt mir der Kaffee jetzt gar nicht mehr“. Gestern war sie noch mal bei den Flying Roasters und hat sich eingedeckt. Mit fairem Kaffee dank gutem Geld. Meine Omi!